Annährung an Siedlungserweiterungen in Freiburg

Freiburg ist für seine neueren Siedlungserweiterungen bekannt, unter denen Rieselfeld und Vauban herausragen und immer wieder als Beispiele gelungener Stadtplanung zitiert werden. Die ehemalige Kaserne und als ökologische Siedlungserweiterung gerühmte Vauban ist ein beliebtes Exkursionsziel für Planer:innen, Soziolog:innen und Ethnograf:innen. Durch das Neubaugebiet Dietenbach mit ca. 6.900 geplanten Wohnungen geriet Freiburg auch in den Fokus unseres interdisziplinären Forschungsvorhabens.

Abb. 1: Blick von Westen nach Freiburg mit dem Schwarzwald im Hintergrund. (Foto: Frank Lorberg, 2024)

Von der Landschaft her nähert man sich Freiburg im Breisgau durch die fruchtbare Rheinebene mit Landwirtschaft und Gemüsekulturen, entlang von Weinbergen und der bewaldeten Hänge des Schwarzwaldes, die vom wirtschaftsgeschichtlichen Reichtum der Stadt mit dem berühmten Münster künden. Heute liegt die Wirtschaftsstärke Freiburgs freilich nicht mehr im primärproduktiven Sektor, sondern wird von Universität und anhängenden Unternehmen, sowie dem Dienstleistungssektor dominiert. Neben Arbeitsplätzen erfreut sich die prosperierende Stadt vieler Sonnenstunden. Der kontinuierliche Einwohner:innenzuwachs mündet seit einigen Jahrzehnten in Siedlungserweiterungen wie Rieselfeld, Vauban, Güterbahnhof Nord und aktuell im Neubaugebiet Freiburg-Dietenbach.

Angekommen am Ort begegnete uns Freiburg kulinarisch mit Maultaschen am Abend. Der folgende Tag gestaltete sich mit dem Termin in der Stadtverwaltung und einer Fahrradtour nach Rieselfeld und Dietenbach abwechslungsreich. Im neuen Rathaus berichteten Herr van der Kooji (Stadtplanungsamt, Dietenbach, Rieselfeld, Mundenhof) und Herr Görlitz (Garten- und Tiefbauamt, Stadtgestaltung, Wettbewerbe Dietenbach) von aktuellen Siedlungserweiterungen und insbesondere von den Planungen zur Siedlungserweiterung Dietenbach. Anschließend unternahmen wir gemeinsam eine Fahrradtour über den Stadtteil Weingarten, der nach dem städtebaulichen Leitbild Urbanität durch Dichte geplant wurde, nach Rieselfeld, wo uns Herr Siegl durch die Siedlung führte. Unsere Verkehrsmittelwahl fiel in Freiburg auf das Fahrrad, weil viele günstige und übersichtlich ausgeschilderte Radverbindungen durch die Stadt existieren.

Rieselfeld

Herr Siegl begleitete die Umsetzung der Siedlungsplanung auf den Flächen des ehemaligen Rieselfeldes für Freiburg, dessen früher mit Abwasser berieselte Böden mit von Schadstoffen unbelastetem Substrat überdeckt wurden. Bislang sei keine Bodenbelastung bekannt geworden. Der Bebauungsplan für Rieselfeld beinhaltete genaue Angaben zur sozialen und baulichen Mischung der Siedlung, deren Struktur an der Blockrandbebauung orientiert ist und weitgehend im Straßenraster erschlossen wird. Das Beharren auf das Prinzip der gemischten Eigentumsverhältnisse und funktionalen Vielfalt in der Blockbebauung habe die ersten zwei Jahre zu Konflikten mit dem städtisch-finanziellen Interesse an einer zügigen Veräußerung der Baugrundstücke geführt, wäre dann aber akzeptiert worden als deutlich wurde, dass die Grundstücke und damit auch das Prinzip der Mischung Investoren fanden. Durch die Geduld bei der Vergabe der Grundstücke sei es gelungen, die Vorgaben des B-Plans umzusetzen und funktions- und eigentumsgemischte Blöcke zu entwickeln. Nach zehn Jahren sei das gesamte Gebiet bebaut gewesen. Das Konzept unterschiedlicher Investitionsformen und Eigentumsverhältnisse stringent umzusetzen (Baugruppen bzw. -genossenschaften, private und öffentliche Bauträger, sozialgebundener Wohnbau), habe sich in der städtebaulichen und sozialen Qualität der Siedlung bewährt, wofür der geringe Leerstand einerseits und die stabile Mietentwicklung anderseits sprechen. Rieselfeld verfügt über Bildungseinrichtungen wie Kindergärten, grundständige und weiterführende Schulen, die zur schnellen Besiedlung mit jungen Familien geführt haben.

Abb. 2: Maria von Rudloff-Platz und geschlossene Randbebauung in Rieselfeld. (Foto: Frank Lorberg, 2024)

In den Erdgeschossen der zentralen Rieselfeld Allee, über die auch die Straßenbahn die Siedlung mit der Innenstadt verbindet, reihen sich Einzelhandel verschiedener Sparten, Gastronomie vom Restaurant zum Stehimbiss, diverse Dienstleistungen wie Friseur und Gesundheitsversorgung. Ein Supermarkt und eine Polizeiwache befinden sich am zentralen Stadtplatz mit ökumenischem Kirchengebäude, Bibliothek und Gemeindezentrum. Der weitgehend versiegelte Platz mit wenigen und außerdem noch kleinen Bäumen ist Sommers dem direkten Sonnenschein ausgesetzt und dementsprechend heiß. Von Seiten der Bürgerschaft werde eine Bepflanzung des Platzes gewünscht, wusste Herr Siegl zu berichten. Insgesamt stehen wenig Bäume entlang der Straßen in Rieselfeld und selbst die große Grünanlage, die aus einer weiten Rasenfläche besteht, wird kaum beschattet. Die Baumarmut Rieselfelds wurde in späteren Gesprächen mit Bewohner:innen immer wieder als ein Handicap der Siedlung beschrieben.

Dietenbach

Nach unserer Führung durch Rieselfeld setzten wir die Radtour unter Leitung von Herrn van der Kooji zum Neubaugebiet Dietenbach fort, wo gerade das Gelände für die Bauphase hergerichtet wird. Zentrale Ver- und Entsorgungseinrichtungen werden für den ersten Bauabschnitt verlegt, der 2025 errichtet werden soll. Er wird über die nordwestliche Autobahnanbindung erschlossen. Eine zweite automobile Erschließung ist für eine spätere Bauphase von der Tel Aviv-Yafo-Allee her geplant; auch eine östliche Anbindung nach Lehen ist geplant. Vom benachbarten Rieselfeld sind keine Verbindungen für den Autoverkehr vorgesehen, nur Geh- und Fahrradwege. Für den ÖPNV soll die Straßenbahnlinie, die derzeit Rieselfeld erschließt, nach Dietenbach verlängert werden. Vergleichbar Rieselfeld ist für Dietenbach eine blockartige Bebauung mit Rastererschließung vorgesehen, die in Straßen abgestufter Befahrbarkeit und Parkmöglichkeiten für PKWs unterteilt ist (ähnlich der Seestadt Aspern bei Wien).

Unsere Fahrradtour führte durch den Siedlungsteil Mundenhof mit einem Tierpark und Veranstaltungsflächen, wohin die Ausgleichsflächen für Dietenbach, die nur teilweise im Neubaugebiet selber angelegt werden können, ausgelagert wurden. Es geht unter anderem um Ersatzbiotope für Zauneidechsen und Aufforstungen für ein Wäldchen, das im Fortgang der Bauarbeiten gefällt werden soll. Die Fällung ist umstritten und wird z. B. mit Besetzungen derzeit verhindert. Hierin zeichnet sich ein Politikum der Siedlungspolitik in Freiburg ab, die einerseits unter der Perspektive des Wohnraumbedarfs als notwendig erscheint, anderseits bei gleichzeitiger Flächenknappheit aus Perspektive von Naturschutz und Landwirtschaft abgelehnt wird.

Vauban und Güterbahnhof Nord

Die Mitglieder des Teilprojekts ‚Biodiversität und Freiraumplanung im Stadtteil‘ waren einen Tag früher angereist, um die Exkursion vorzubereiten, und hatten die Zeit auch dazu genutzt, die Siedlungserweiterungen Vauban und Güterbahnhof Nord zu besichtigen.

Abb. 3: Wohnprojekt in Vauban. (Foto: Frank Lorberg, 2024)

Nach der erfolgreichen Bebauung von Rieselfeld wurde die ehemalige französische Kaserne Vauban – nachdem schon einige Gebäude besetzt worden waren, um selbstverwalteten Wohnraum zu entwickeln und neue Wohnformen zu erproben – städtebaulich erschlossen. Teilweise wurden Kasernengebäude erhalten und z. B. als Studierenden-Wohnheime genutzt, zum Großteil aber abgerissen. Der Neubau geschah unter starker Beteiligung von Baugruppen und Genossenschaften mit sozialen und baulichen Vorstellungen ‚alternativen Lebens‘. Die Siedlung ist durch einen hohen Grünanteil gekennzeichnet und unterscheidet sich dadurch sowohl gegenüber Rieselfeld als auch im Vergleich von der aktuellen Siedlungserweiterung Güterbahnhof Nord.

Abb. 4: Aktuelle Siedlungserweiterung Güterbahnhof Nord. (Foto: Florian Bellin-Harder)

Die Siedlungserweiterung Güterbahnhof Nord (Baubeginn 2014) kommt gerade zu ihrer baulichen Fertigstellung und ist schon weitgehend bezogen. Die Gebäude sind mit meistens 5 bis 7 Geschossen deutlich höher als in Vauban, ebenso wie der Versiegelungsgrad der Frei- und Verkehrsflächen. Der Grünanteil öffentlicher Freiräume befindet sich bislang in gefassten Beeten, die zugleich der Entwässerung der versiegelten Flächen dienen. Die Gebäude – Zeilen und Stadtvillen – sind von Abstandsgrün umgeben, das im Vergleich mit alten Zeilenbau-Siedlungen wie Freiburg-Weingarten sehr sparsam ausfällt. Zudem ist es, wie die Autozufahrten und Lüftungsschächte andeuten, mit Tiefgaragen unterbaut. Nach unserem ersten Eindruck erscheint die Siedlung Güterbahnhof Nord stärker verdichtet als Rieselfeld. Entlang der Eisenbahnlinie befindet sich eine Brache u.a. ehemaliger Kleingärten, die nach dem Bebauungsplan als Grünzug entwickelt werden soll, der zugleich als Ausgleichfläche für den Naturschutz dient. Der Druck von Seiten der Stadtentwicklung auf Kleingärten und Grabeland scheint in Freiburg hoch zu sein, wie auch die Siedlungserweiterung Kleineschholz nahe des Rathauses auf einem ehemaligen Kleingartengebiet vermuten lässt.

Fahrradfahren in Freiburg

Zum Abschluss noch eine beiläufige bzw. -rollende Beobachtung zum Fahrradfahren und zu Fuß gehen in Freiräumen. Freiburg ist eine fahrradfreundliche Stadt mit vielen gut ausgewiesenen Radverbindungen, auf denen man in der Rheinebene schnell durch die Stadtteile kommt. Da die Radverbindungen gut ausgelastet sind, wird das Angebot von den Freiburger:innen anscheinend gerne angenommen. Die Radfahrer:innen selbst haben auf den Radwegen ihre Strategien entwickelt, nicht konflikt- aber anscheinend unfallfrei durch die Stadt zu kommen. Von außen betrachtet, erscheint der Radverkehr chaotisch abzulaufen, weil Verkehrsregeln ignoriert werden. Aus der Innensicht als teilnehmender Fahrradfahrer erschließt sich das Geheimnis entfallender Zusammenstöße durch erhöhte Aufmerksamkeit und die banale Regel, die auch aus der fußläufigen Fortbewegung unter vielen Gehenden bekannt ist: man muss immer aufpassen, dass man niemanden ins Fahrrad fährt bzw. anrempelt.

Abb. 5: Fahrradstadt Freiburg am Kinderhort in Vauban. (Foto: Frank Lorberg, 2024)

Gleichwohl ist der Umstieg auf ein anderes Verkehrsmittel nicht mit einem Austausch der Verkehrsteilnehmenden zu verwechseln. Rücksicht bedeutet in Freiburg noch häufig im Zweifelsfall ein Recht der Schnelleren oder Rücksichtsloseren, also ‚Stärkeren‘. Dieses Verkehrsverhalten kann zur Verunsicherung oder sogar zur Ausgrenzung weniger selbstbewusster oder verkehrssicherer Radfahrer:innen führen. Wer an historische Radfahrstädte wie Amsterdam oder Münster denkt, wird hier noch auf Verhaltensmilderung durch gemeinsame bzw. geteilte Erfahrung hoffen müssen.