Die grüne Mitte von Neuallermöhe

Siedlungen entstanden traditionell unter anderem, wenn es keine ehemaligen Römerstädte waren, am Fuß von Burgen, wo sie von den Landesherren geschützt und kontrolliert wurden, und gruppierten sich um einen Marktplatz. Oder sie nutzten z. B. eine topografisch günstige Situation, etwa eine Furt, weil hier nicht nur ein Fluss überwunden, sondern zugleich auch Wegezoll erhoben werden konnte. Insofern hatten sie häufig einen – heute nicht immer noch erkennbaren – landschaftlichen Bezug. Dass aber Landschaften für Siedlungen identitätsstiftend sein sollen, ist eine moderne Idee, die mit der städtebaulichen Moderne und ihrem Ideal gründurchzogener Zeilenbauten und Hochhäuser beginnt. Allerdings erschöpft sich heute dieses Grün, das vor allem sanitäre Funktionen und solche der Erholung übernehmen sollte, allzu oft in einem pflegeextensiven anonymen Abstandsgrün, dem wohl kaum noch jemand Identität zubilligen würde. Diese Stadt, so funktional sie gedacht wurde, wurde auch als ‚organisch‘ verstanden, weil z. T. auch ihre Verkehrserschließung als ‚landschaftlich‘ geschlungener und begrünter Straßenkörper ausgeführt wurde.

Die Gegenreaktion war wieder urbane Städte zu bauen, oft orientiert am Vorbild der hochverdichteten alten europäischen Stadt. Je mehr also der Städtebau in eine ‚Sinnkrise‘ geriet und je mehr nach der kurzen Phase der Postmoderne, in der ‚alles ging‘, die Sehnsucht nach identitätsvollen Siedlungen wieder wuchs, die auch nicht durch die in natursteinverkleideten Investorenbauten in Berlin endende kritische Rekonstruktion des an die individuelle Parzelle gebundenen Stadtkörpers befriedigt werden konnte, desto mehr setzte sich die Idee durch, dass vielleicht die landschaftliche Natur diese sinnstiftende Funktion übernehmen könnte. So auch im Ladenburger Kolleg zur Qualifizierung der Zwischenstadt Anfang der 2000er Jahre.

Diese Idee liegt einerseits nahe, denn ‚Landschaft‘ ist das kulturelle Symbol einer organischen Einheit von ‚Land‘ und einer siedelnden ‚Bevölkerung‘. Ohnehin ist sie ‚grün‘ und ‚Grün‘ ist immer ‚gut‘. Die Bevölkerung nutzt dieser Idee der Landschaft nach die natürlichen Ressourcen und bringt dabei zugleich die im konkreten Raum angelegten Potentiale zum Vorschein, die dann das Landschaftsbild als Einheit von Kultur und Natur prägen. Dabei darf die Landschaft nicht nach abstrakten Nutzenvorgaben ‚gleichmacherisch‘ überformt werden, denn dann folgt gesichtslose Monotonie, sondern muss immer gemäß ihrer jeweiligen, individuellen Möglichkeiten ausgestaltet werden. Dann entsteht eine Kulturlandschaft. Dies gilt auch für Stadtlandschaften, wenn sie nicht unter einem Siedlungsbrei verschwinden sollen.

Das Konzept der grünen Mitte versucht also, diese identitätsstiftende Kraft zu nutzen, sodass im Fall von Neuallermöhe (West) statt eines zentralen Platzes eine zentrale landschaftlich gestaltete Grünfläche gebaut wurde. Allerdings wurde zunächst die eigentliche landschaftliche Identität dieses Ortes im wahrsten Sinne des Wortes überschüttet, um ihn als Marschland überhaupt besiedelungsfähig zu machen. Wassergräben sollen dann wieder an die ehemals vorhandenen Naturbedingungen erinnern.

Abb. 1: Die grüne Mitte von Neuallermöhe-West wirkt leer. (Foto: Florian Bellin-Harder)

Die weitere ‚landschaftliche‘ Gestaltung der Mitte führte zu einer großen Rasenfläche mit ‚sanften‘ Hügeln, klassisch-arkadische Elemente, die auch im Landschaftspark eine große Rolle spielen, ebenso zu kulissenhaften Pflanzungen. In diesen z. T. dichten und durch die Sukzession ausgeweiteten Gebüschen suchen Jugendliche Unterschlupf. Diese Situation wird wiederum durch drei weniger ‚landschaftliche‘, weil lineare Wegachsen durchschnitten, deren zentrale durch Säulenhainbuchen betont ist.

Die weite Rasenfläche wird heutzutage kaum genutzt. Daher versucht man sie partiell als biodiversitätssteigernde Wiese zu pflegen. Andere Teile in der Nähe der Allee werden weiterhin als ‚Mulchrasen‘ gemäht und die Baumreihen selbst von einer streifenförmigen Wiesenansaat gesäumt, in der zum Zeitpunkt unseres Besuches vor allem der Wiesensalbei blühte. Trotz der Aktivitäten in den Gebüschen entstand der Eindruck einer zentralen Brache, die mittels der Diagonalen auch zügig durchquert werden kann. Die grüne Mitte ist also eigentlich eine große Leerstelle, für die es keinen richtigen Zweck gibt und die auch nicht angeeignet wird. Der Eindruck, dass der Rasen nicht benötigt wird und eigentlich nur Abstandsflächen begrünt, verdichtete sich beim weiteren Gang durchs Quartier. Ihre ‚Nutzlosigkeit‘ spiegelt sich in ihrer Pflege: Überall in Neuallermöhe gab es räumlich großzügige ehemalige Rasenflächen, die, da sie selten gemäht werden und ihre Vegetation hoch aufgewachsen ist, den Eindruck brachliegender Flächen erweckten. Aus großzügiger ‚landschaftlicher‘ Raumerschließung wird dann schnell städtebauliche Öde.

Was also tun in diesem konkreten Fall? Die Brachen an den Rändern von Gehölzen oder Straßen und Wegen könnten in der Tat zu blumenreichen Wiesen und Säumen entwickelt werden. Dies erfordert dann nicht nur eine Nachsaat entsprechender Arten, sondern vor allem eine zwar extensive aber doch planmäßige Mahd (ein- und zweimalige Mahd im Jahr). Die große Fläche in der Mitte aber könnte zumindest partiell als Grabeland, d. h. für den Anbau von Gemüse genutzt werden und so neue körperliche und soziale Aktivitätsfelder anbieten. Zu erwägen wäre eine Parzellierung des Gartens für individuelle Nutzer oder ein Gemeinschaftsgarten, der soziale Kontakte ermöglicht und Interaktionen fördern kann. Dazu wäre ein Nutzungsmodell mit einem verantwortlichen Träger zu entwickeln. Der Vorteil von Grabeland liegt dann vor allem auch darin, dass es problemlos zurückgebaut werden kann, wenn ein solcher Versuch nicht erfolgreich ist. Durch diese Nutzung könnte nicht nur Gemüse produziert und die Fläche sozial belebt, sondern auch die Biodiversität mit einem Angebot für siedlungs- und gartentypische Arten gefördert werden.