Landwirte und Utopien [1]
Nachgedanken über eine Tagung zu koproduktiver Landschaft

Das Planungsamt in Frankfurt hatte im Juli 2024 zu einer Tagung auch aus dem Kreis der Landbewirtenden des Gebiets zum städtebaulichen Entwicklungs-Vorhaben „Stadtteil der Quartiere“ am Westrand der Stadt eingeladen. Das Vorhaben ist sehr ambitioniert, weil viele Interessen vereint und wegen des Interesses an Flächen westlich der A5 auch mit dem Regionalverband Frankfurt-Rhein-Main abgestimmt werden müssen. Die sehr informative Veranstaltung offenbarte einen tiefsitzenden Konflikt auf dem Weg zur Verwirklichung eines Stadtteils, der das Verhältnis zwischen Stadt und Land neu zu definieren versucht. Hinsichtlich der Besitzverhältnisse stehen den Landwirten auf besten (d.h. produktivsten) Böden im Umland von Frankfurt Vorhaben für einen neuen Stadtteil einschließlich eines Programms für neue Land- und Freizeitnutzungen im Umland gegenüber. In verschiedenen Diskussionsrunden und angereichert mit Vorbildern aus anderen Städten (z.B. Heidelberg) informierte die Veranstaltung u.a. über den Begriff und das Verständnis von „koproduktiver Landwirtschaft“ (als Teil der „koproduktiven Landschaft“) in einer der Diskussionsrunden.

Für künftige Bebauung vorgesehene landwirtschaftliche Nutzfläche im Frankfurter Westen. (Foto Florian Bellin-Harder)

Geplant sind eine deutliche Verdichtung mit vielgeschossiger Bebauung östlich der A5 im „Stadtteil der Quartiere“ und Energieversorgung sowie diverse Landnutzungen, Ausgleichsmaßnahmen, Freizeit und Erholung westlich der A5. Letzteres stößt auf Widerstand der aktuellen Landnutzenden. Es liegt ein städtebaulicher Entwurf vor, die Planungen sind aber noch nicht abgeschlossen und sollen, den Interessen der bei der Tagung anwesenden Landwirte folgend, am besten neu begonnen werden.

Es ist eine schöne Idee, die Versorgung eines neuen Stadtteils aus dem angrenzenden Land heraus zu betreiben, dabei an Gemüse- und regenerative Energieversorgung zu denken und ebenso an neue Wirtschaftsformen wie die Solawi[2] oder auch an eine weitere Modernisierung der Landwirtschaft durch Energiepflanzen. Zugleich sollen mit Erschließung, Erholungsangeboten und Infrastruktur benachbarte Orte (Nachbargemeinden) mitversorgt werden.

Seit der Moderne formuliert die Stadtplanung solche menschenfreundlichen Ideen eines aufgeklärten Stadtbürgertums. Was einst Visionen einer arbeitsentlasteten, freizeittauglichen Gemeinschaft waren (Gropius und Le Corbusier mit der vertikalen Gartenstadt), das ist inzwischen zusätzlich die Vorstellung eines umweltfreundlichen, ernährungsbewussten und auch sonst an möglichst alle gesellschaftlichen Probleme gleichzeitig denkenden koproduktiven Gemeinwesens.

Diejenigen, die das Land bewirtschaften, leisten sich in der Regel keine Utopien (John Berger: SauErde, historisches Nachwort). Allerdings stimmt das nur noch auf den ersten Blick. Wenn Landwirte sich heute, wie in der Veranstaltung, rühmen zur Ernährung der Weltbevölkerung beizutragen, insbesondere mit konventionellen Produktionsmethoden, und die „Grundrechenarten“ zu beherrschen (im Unterschied zu den Utopisten, die sie gerne auch Idealisten nennen), dann scheint in der Landwirtschaft alles in Ordnung. Die wachsenden Städte stellen aus dieser Perspektive ein Problem dar, das man lieber mit stärkerer Stapelung der Wohnungen beantworten solle als mit weiterem Flächenfraß (so die Argumente bei der Tagung).

Die Landlosen (zu denen zählt der überwiegende Teil der Stadtbewohner*innen) waren schon immer ein Ärgernis, zuerst für die Herrschaft, dann auch für alle weiteren Grundbesitzenden (nach der Bauernbefreiung). Sie stellten u. a. die Arbeiter*innenschaft der Industrialisierung und die Söldnerheere der Kriege bereit und sind, bezogen auf die Nahrungsgrundlagen, sozusagen die städtischen Miternährten, die jetzt auch noch auf das beste Anbauland zurückgreifen. Aber gerade, wenn die eigene Existenz mit dem Gemeinwesen legitimiert wird, müssen Landwirte sich auch die Frage gefallen lassen, wie sie in letzter Konsequenz zu den gemeinen Gütern Luft, Boden, Wasser und zunehmend Menschen- und Tiergesundheit stehen (von Insekten und anderen Wildtieren einmal abgesehen), mit welchen Mitteln sie z.B. künftiger Trockenheit begegnen wollen (Stichwort Wasserknappheit in Frankfurt). Sie bewirtschaften in Hessen nicht selten das Land anderer. Bei Realteilung und langen Perioden überwiegenden Nebenerwerbs ist von den hessischen Bauern im Grunde eine Hand voll Vollerwerbliche übriggeblieben, die sowohl besitzrechtlich als auch ideell gemeinen Besitz wirtschaftlich nutzen.

Der utopische Gehalt der Landwirtschaft ist der des technischen Fortschritts insgesamt, dass nämlich die Ressourcen nie enden und immer innovative Lösungen von Problemen möglich (und in diesem Sinne nötig) sind (hier wird während der Tagung auf Gentechnik und neue Bewirtschaftungsmethoden verwiesen). Daher wird auch bei der Tagung nicht über klimatische Probleme oder Düngemittelengpässe in Kriegszeiten der Ukraine gesprochen und auch nicht über den Bodenverlust, d.h den Verlust der eigentlichen Grundlage, um die zum gegebenen Anlass gerungen wird. Zwar mutet der Verlust durch Bebauung endgültig an, er droht aber auch bei unausgesetztem Fortgang konventioneller Nutzungen.[3]

Bis zu diesem Punkt ist nicht einmal von der wechselseitigen Abhängigkeit (Nahrung gegen Bezahlung) zwischen Bürgerlichen und Landbewirtschaftenden die Rede und auch nicht von enormen Summen, die das Gemeinwesen (EU und Bundesregierung) für die Investitionen in der Landwirtschaft (für Maschinen, Infrastruktur und Fördermittel) aufbringt. Die Koexistenz von Landbewirtschaftenden und den von ihren Produkten Lebenden mag zwar im Welthandel unübersichtlich werden, aber die prinzipielle Wechselbeziehung zwischen Stadt und Land ist jener ernstzunehmende nicht utopische Gehalt des oben erwähnten planerischen Ansinnens. Gute Landwirte könnten sich zwar selbst auch ohne die Nachfrage aus der Kommune, in der sie wirtschaften, ernähren, aber ihre Produktion ist trotzdem nicht selbstlos. Die Landwirte partizipieren genauso am Welthandel und industrieller Produktion wie alle anderen. Warum die wechselseitige Abhängigkeit nicht anerkennen und ihre Formen gemeinsam diskutieren, wie von den Planenden in Frankfurt gewünscht? Vielleicht liegt es daran, dass am Ende die politische Mehrheit entscheidet und nicht die Argumente. Fremder Willkür ausgesetzt zu sein zählt zur existenziellen Erfahrung von Landwirt*innen.

Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass diese Existenzangst berechtigt ist und dass das gut zu bewirtschaftende Land, das nicht selten in ebenen Lagen im Umfeld von Städten liegt, die an Gewässern errichtet wurden (wie einst Frank-Furt … über den Main), der Produktion in aller Regel unwiederbringlich verloren geht und daher auch dem Gemeinwesen als Produktionsgrundlage fehlt. In Städten erfolgt der Verlust von bewirtschafteten Flächen überwiegend restlos, d.h. nicht nur zumeist irreversibel in Form von Bebauung, sondern auch landnutzungslos in Form von Freiräumen. Sicherlich ist es utopisch anzunehmen, ein paar Solawis könnten eine Produktivität erreichen, die den Verlust an landwirtschaftlicher Nutzfläche tatsächlich kompensiert oder dass Gemüseproduktion in und auf Gebäuden eine vergleichbare Produktivität erreichen könnte wie auf offenem Boden. Allerdings besteht in solchen Formen der Landnutzung ein höheres Potenzial ressourcenschonender Erhaltung der Bodenfruchtbarkeit.

Mit diesem Potenzial ist auch ein Blick auf das, was im künftigen Stadtraum mit den Freiräumen passiert, angemessen. Die ebenfalls in der Moderne diskutierten horizontalen Gartenstädte (Howard, Ernst May) stellten auch schon die Frage nach produktiv nutzbaren Freiräumen. Allerdings ist davon in der weiteren Entwicklung der Siedlungsplanung die am meisten Land verzehrende Bauform des Einfamilienhauses übriggeblieben. Selten jedoch wird erwähnt, dass nicht diese Gebäude allein, sondern insbesondere der Umgang mit den (privaten) Freiräumen erschütternd bedenkenlos schon in der Planung und Grundstücksorganisation der Einfamilienhausquartiere ist. Die Nutzung privaten Freiraums muss nicht an Landwirtschaft gemessen werden, aber sie könnte zumindest an der gesellschaftlichen Relevanz ihrer Nutzung gemessen werden. Wenn also Landwirte zunehmend an Ökosystemnebenwirkungen gemessen werden und sie sich selbst an der Welternährung, warum soll dann nicht auch der Umgang mit den Freiräumen am gesellschaftlichen Nutzen gemessen werden? Die Reproduktion der Arbeitskraft als Aufgabe von Freiräumen (Nohl), die in den 1980er Jahren im Gespräch war, ist noch immer das Hauptargument. Erholung und Freizeit, Geselligkeit und Ablenkung sind Rezepturen eines Lebensumfeldes für den Ausgleich. An dieses Lebensumfeld werden zunehmend individualisierte Anforderungen gestellt und zugleich immer mehr verschiedene Anforderungen an den gleichen Raum (s. Blog-Beitrag zu Frankfurt Riedberg; https://suburbanitaet.de/blog/). Eine neue Anforderung wären dann Bildungsangebote zum Erlernen von Landnutzungsfähigkeiten, Begegnung mit Nutztieren etc., wie es auch für den „Stadtteil der Quartiere“ im Gespräch ist.

Der utopische Gehalt des Entwurfs zum Frankfurter Westen zeichnet ein Bild landnutzungs- und landschaftsaffiner Menschen, die aber kaum Voraussetzungen für die Herausbildung von Nutzungs- und Aneignungsfähigkeiten oder auch des produktiven Umgangs mit Land erhalten. Freizeitangebote in geteilten Räumen (öffentlichen Freiräumen) erzeugen selten Anreize für Selbstwirksamkeitserfahrungen und befriedigen vor allem variantenreich aktuell formulierte Bedürfnisse. Die Verfügung über eine Wohnung und ein Stück Land ist dagegen für sehr viele Stadtbewohnende nicht nur längst keine existenzielle Frage mehr, sondern eine von individuellem Stil, symbolischem Kapital, sozialer Zugehörigkeit und Unterhaltungsbewältigung (Pflege) des eigenen Besitzes (Stichworte Schottergarten und Mähroboter). Es fällt deshalb leicht, auf diese privaten Handlungspotenziale zugunsten einer Erhöhung der Wohnungsdichte zu verzichten wie im Entwurf östlich der Autobahn. Landnutzungserfahrung kann dann aber doch wieder nur in gemeinsamen Projekten erworben und gepflegt werden (Urban Gardening bzw. Gemeinschaftsgärten, Mitmachlandwirtschaft etc.). Schon die Entwicklung der Gemeinschaftsideen zu Beginn der Moderne zeigt, dass Teilhabe ohne parallel vorhandene Selbstbestimmung, (bzw. Selbstverfügung) nur mühsam zu erreichen ist.  Eine Diskussion über die Aneignung von Raum, Fähigkeiten, Fertigkeiten und die dafür möglichst günstigen baulich-materiellen und organisatorischen Voraussetzungen wäre nützlich, um das Verständnis der gesellschaftlichen Relevanz von Land besser zu begreifen. Allerdings würde diese Intention ebenso in einen Bildungsauftrag münden wie der genannte städtebauliche Entwurf zum neuen Frankfurter Westen. Es werden Bewohner*innen vorausgesetzt, die noch nicht existieren, denen durch neue Möglichkeiten am Stadtrand zu besseren Lebensbedingungen verholfen werden soll und die dafür gebildet werden müssten.

Daher mündet die Suche nach einer Utopie oder neuen Zielen in der Stadtplanung, in deren Fahrwasser die Freiraumplanung schwimmt, immer in ein nicht weiter diskutiertes oder finanziertes, aber eigentlich notwendig begleitendes Bildungsprogramm; notwendig, wenn Stadtplanung nicht nur Möglichkeiten zeigen, sondern auch realisieren will. In Hamburg erfuhren wir, dass z.B. das Sozialamt in die Stadtplanung auch mit räumlichen Vorgaben und Ansprüchen involviert wurde. Vielleicht wäre auch noch das Schulamt zu involvieren, um die Ideen von Planer*innen zu erklären und zu vermitteln (diesen allgemein gefassten Bildungsbegriff formulierte einst Johannes Beck).

Es ist jedenfalls der offenkundige utopische Gehalt der Planung, der es Landwirten leichtmacht, über die Ambitionen eines solchen städtebaulichen Entwurfs wie in Frankfurts Westen sowie dessen Lebenswirksamkeit zu spotten und dabei selbst konsistent und wirklichkeitsnah zu wirken. Und es ist die Naivität ungebrochener Ressourcen-Verfügbarkeit, die es Stadtplanerinnen schwermacht, Landwirt*innen zu widersprechen, denn wie zu Beginn der Vorträge angemerkt, zählt die Bauwirtschaft selbst zu den größten Ressourcen-Nutzern.

Daher blieb die Veranstaltung hinsichtlich des Konflikts zwischen Landnutzung und Wohnungsbau unbefriedigend. Es ist, was den Konflikt betrifft, offenkundig nicht mehr vordergründig der gesellschaftliche Mangel an Verständnis für eine bedrohte Natur, der die Ambitionen des Entwurfs unwahrscheinlich erscheinen lässt (die Biodiversität ist nur ein Aspekt unter mehreren des Naturschutzes, die anscheinend inzwischen breite Anerkennung finden). Vielmehr wird der Mangel an Verständnis für die Qualität der städtischen Nutzung des enteigneten Landes zum Zwecke der Wohnbebauung sowie der Mangel an Zutrauen in die Fähigkeit der künftig dort lebenden Bevölkerung zu einem grundsätzlich anderen als dem gewohnten Verhalten in den Freiräumen sichtbar.

Frankfurt Riedberg, unterbaute Flächen, Feuerwehrzufahrt, Abstandsgrün. (Foto Florian Bellin-Harder)

Endnoten:

[1] Zur Tagung waren auch Landwirtinnen anwesend. Wortführend waren aber männliche Vertreter, daher hier in der Überschrift nur die männliche Form.

[2] Hier kam in der Diskussionsrunde eher eine Frau zu Wort. Solawi steht für Solidarische Landwirtschaft, bei der eine Produktions-Abnahme-Vereinbarung zwischen Bewirtschaftenden und Konsumierenden getroffen und ein Mindestlohn vereinbart wird. Häufig sind dies wegen der bevorzugten Produktpalette Betriebe mit gärtnerischem Schwerpunkt.

[3] Siehe hierzu das basale Werk von David Montgomery (2010): Dreck.