Potsdams Glanz im suburbanen Gloria?
Mehrebenenlayer der Suburbanisierung
- Arvid Krüger
- 15.07.2024
- Exkursion
- Postdam
Anlässlich einer SRL-Exkursion ergab sich die Gelegenheit, an einem heißen Sommersamstag den (nicht untypischen) Ausflug von Berlin nach Potsdam zu machen. Aber nicht für Preußens Glanz und Gloria (eher für einen bestimmten Typus der Hinterlassenschaft ebensolcher), sondern mit entsprechendem fachlichen Interesse. Denn auch Potsdam (knapp 190.000 EW) ist eine deutsche Großstadt, die wächst (zum Vergleich: die in der „Neue Suburbanität“ mit aufgenommene Stadt Freiburg hat 230.000 EW). Potsdam wächst auch seit etwa 20 Jahren; im Unterschied zu den im Osten der Republik gelegenen Metropolen Berlin und Leipzig gab es in Potsdam (für Ostdeutschland eher untypisch) eher eine Art Nachwende-„Delle“, keine lange Phase des Bevölkerungsrückgangs, die da, wo es passiert, erst vor circa 10 Jahren in eine Wachstumsphase umgekehrt wurde (sowohl in Berlin/Leipzig als auch in der Mehrzahl der kleineren Großstädte zwischen 100.000 und 250.000 Einwohner).
Das liegt auch daran, dass Potsdam neben Berlin liegt – und wäre seine Entwicklung genau wie die anderer Umlandgemeinden wie Falkensee, Bernau, Teltow, der Flughafengemeinde Schönefeld oder anderen Umlandgemeinden im Tarifgebiet C, wäre man auch nicht überrascht. Doch Potsdam ist eben auch eine Großstadt on its own und hat seinen eigenen Stadtrand. Dieser liegt hinsichtlich seiner Entwicklungsdynamik seit 1989 im Norden, zuvor 1949-1989 im Süden (östlich von Potsdam liegt Berlin). Das hat was mit Preußens Hinterlassenschaften zu tun: der Norden war seit Mitte des 19. Jahrhunderts städtebaulich durch große Kasernen geprägt, die dann auch von den Nazis und der Sowjetunion weitergenutzt wurden (die großen Neubauvorhaben des späten 20. Jahrhunderts – Schlaatz, Drewitz, Am Stern – bis hin zu den 1990ern – Kirchsteigfeld – zogen also Potsdams Weichbild stark nach Südosten). Als also der Abzug der Roten Armee für 1994 terminiert wurde, machten sich bereits 1992 stadtentwicklungsversierte Menschen auf den Weg und präsentierten einen Masterplan für die Konversion der Kasernengebiete des Nordens. Diese Herangehensweise war dann wiederum typisch nachwende-ostdeutsch (Link Nuissl/Rink), denn die planerischen Voraussetzungen für Stadtentwicklung an den Rändern der Städte bzw. vor ihren Grenzen waren so „schlecht“, dass es richtig schnell gehen konnte, wenn es die nachwende-politischen Mehrheiten dafür gab. Und in Potsdam war die bisher nicht mögliche zivile Stadtentwicklung im Norden mehrheitsfähig. Dann ging es Schlag auf Schlag:
- 1994: Beschluss des Masterplans
- 1994: Planfeststellung der Straßenbahn ins Bornstedter Feld (mit zwei Endstellen an der Kirschallee und der Viereckremise), Bauzeit wird nur 5 Jahre sein
- 1994: Beginn des Umzugs der 1991 gegründeten Fachhochschule (zuvor Nutzung von Institutsgebäuden in der Innenstadt, wo es heute Kontroversen um Potsdams Stadtentwicklung gibt, die sich bauhistorisch zwar als Spätmoderne (z.B. ehemaliges Rechenzentrum) versus Rekonstruktion (z.B. Garnisonkirche) zuspitzen lassen – aber von all den politisch-ideoologischen Schattierungen dominiert werden, die (nicht nur) Potsdams Stadtgesellschaft prägen
- 1995: Zuschlag zur Bundesgartenschau 2001 als Motor der Stadtentwicklung für den Norden
Als dann 2001 die ersten großen Teile des Bornstedter Felds – so der Name für den nördlichen Stadtteil – fertig waren, war die oben genannte „Delle“ auch in Potsdam spürbar und führte in der Tat zu entsprechenden Diskussionen um die Dichte der noch zukünftig zu bebauenden Bauabschnitte. Anders gesagt, es kam die Frage auf, ob man nicht lieber Einfamilienhäuser bauen sollte. Aber der „Falkenseeisierung“ der Großstadt wurden dann doch Grenzen gesetzt (dass die Gemeinde Falkensee hier für diese klassische Form der suburbanen Entwicklung rund um Berlin nach 2000 herhalten muss, ist nicht bös gemeint; aber Falkensee war bereits vor dem 2. Weltkrieg eine eher wenig urbane Entwicklung vor den Toren der Hauptstadt und als „künstliche“ Vorortgemeinde 1923 geründet). Schon bald sollte sich zeigen, dass die Entscheidung, mit Geschosswohnungsbau in Potsdams Norden weiterzumachen und einen der Äste der Straßenbahn von der Viereckremise bis zum Jungfernsee weiterzubauen, dann doch richtig war. Denn die in den letzten zehn Jahren entstandenen Teile des Bornstedter Felds bieten dann doch das ein oder andere spezielle Anschauungsmaterial für die Forschung zur neuen Suburbanität:
Privatisierung von Stadtentwicklung: Ein Teil des Entwicklungsgebiets wurde aus der Kulisse des Besonderen Städtebaurechts herausgenommen, da es keiner öffentlichen Anstrengung mehr bedarf. Hasso Plattner übernahm am „Campus Jungfernsee“ (so der Name der Haltestelle); und es entstand ein halb hinter Lärmschutzwall, halb hinter Zaun gelegenes Villenquartier, dass entfernt an kalifornische Seaside-Wohngebiete erinnert. Von nahem sah der Autor es nicht, der Blick von der Straßenbahnendstelle war eindrucksvoll genug. Wie auch immer der Städtebau zu beurteilen ist: für einen Milliardär ein Stück Stadtentwicklungsgebiet frühzeitig abzulösen bzw. aufzuheben (§169 BauGB), ist definitiv ein verführerisches Angebot aus einer Governance-Perspektive; es ist ja nur ein Bauabschnitt eines ganzen Stadtraums. Eigentlich tauchte aber genauso schnell eine andere Frage auf: Seit wann bauen Milliardäre ihre Siedlungen an den Knotenpunkt des SPNV? Fährt man neuerdings Straßenbahn? Mindestens die Angestellten der Villa? Der eigentliche Campus am Jungfernsee ist das angrenzende SAP-Innovation-Center, ein noch nicht vollendetes Gewerbegebiet, deren Arbeitsplätze ebenfalls in Sicht- bzw. Schrittweite vom ÖPNV-Knoten entfernt sind.
Zentrumsbildung anders als gedacht: Mit nur wenig fachlicher Vorprägung würde man auf einer stummen Karte das Zentrum des Bornstedter Felds dort verorten, wo sich mittig im Gebiet die Straßenbahntrasse in beide Äste aufteilt und die etwas großmaßstäblicheren Strukturen der Fachhochschule befinden. Der Annemarie-Wolff-Platz ist hinsichtlich seiner öffentlichen Räume als Quartiersmitte auch erkennbar; und nach Süden entlang der Georg-Herrmann-Allee befindet sich gegenüber dem Fachhochschulcampus auch 1990er-Jahre-Bebauung mit Erdgeschosszone (gefüllt). Die Nordseite des Platzes ist erst in den letzten 10 Jahren bebaut worden – und zwar nicht mit dem ursprünglich geplanten (kommerziellen) Nahversorgungszentrum, also Supermarkt-plus-X (oder kleines Einkaufszentrum). Denn auch, wenn Kiepenheuerallee (Ost-West) und Georg-Herrmann-allee (Nord-Süd) mehr als nur Anwohnerstraßen sind und eine Verkehrskreuzung markieren (Annemarie-Wolf-Platz als nordöstlicher Quadrant, Fachhochschule als südostlicher Quadrant), die eigentlichen Ausfallstraßen gehen an der Mitte des Stadtteils vorbei (ergibt schließlich Sinn) und sind die Nedlitzer Straße (B2 nach Norden, nahe der Haltestelle Viereckremise) und die Pappelallee nach Westen (zur nahe Sanssouci vorbeiführenden B273, dem Autobahnzubringer Potsdam-Nord) und der anderen Straßenbahnendstelle Kirschallee. Ergo: ein Supermarktstandort ist im Teilquartier Viereckremise, der andere am alten Kern von Bornstedt, einem früheren Straßendorf neben jenem gleichnamigen Gut, das früher Preußens Hof mit Essen versorgt hat (und heute erfolgreiches Ausflugsziel mit Hofladen und Bio-Weihnachtsmarkt ist – dem Autor aus eigener Freizeit bekannt). Reicht also aus. Das Zentrum des Bornstedter Felds musste also umgedeutet werden. Und der Annemarie-Wolff-Platz lässt sich nun am ehesten verstehen, wenn man zur Fachhochschule fährt und nach Ankunft einen Kaffee braucht – oder nach der Aktivität an der Hochschule noch gemeinsam zum Italiener will. Beides geht, denn entstanden sind Gebäude, welche den Platz nach Norden so abschließen, dass sie ihm ein urbanes Gepräge geben – oben Wohnen und Bürogewerbe (Arztpraxen erkennbar), im Erdgeschoss gastronomische Nutzungen mit Freisitz. Die Hochschule markiert mit diesen „urbanen Kollateralnutzungen“ das Zentrum, nicht der Supermarkt (die a.a.O. trotzdem städtebaulich integriert sind).
Mit der Tram nach Spandau – Entwicklungsachsenkreuzungen der Planung?: Kurz zur Einordnung vorweg, Spandau gilt bei vielen (auch Spandauer:innen) als bei Berlin gelegen, obwohl der westlichste Bezirk seit 1920 Teil der Stadt ist und auch der aktuelle Berliner Bürgermeister von dort kommt. Wenn also Spandau westlich und Potsdam südwestlich von Berlin gelegen ist, dann gibt es also auch eine Neben-Achse von Spandau nach Potsdam. Diese ist sogar historisch nachweisbar, denn die Bundesstraße 2 verläuft nicht wie die Bundesstraße 1 auf direktem Weg von Berlin (Potsdamer Platz) nach Potsdam, sondern nimmt von Berlin den Weg via Heer(!)straße (Link Luisenstädtischer Bildungsverein) und Spandau nach Potsdam. Preußisch geprägt auch hier. Wenn man also entlang der B2 von Potsdam aus den Weg nach Norden nimmt, kommt man am Kasernengelände Krampnitz vorbei, das – diplomatisch formuliert – im Nirgendwo liegt (allerdings, wie so vieles in Potsdam, dem südlichen Spandau und dem westlichen Berlin: malerisch am Wasser); für manche Preußens Arkadien rund um den nicht erst seit den 1950ern bekannten Wannsee. Weniger diplomatisch formuliert: es liegt in unmittelbarer Nähe hochgradig schutzwürdiger Waldgebiete und definitiv jenseits aller Entwicklungsachsen des berlin-brandenburgischen Verflechtungsraums der Gemeinsamen (!) Landesplanung. Ohne Zielabweichungsverfahren der Raumordnung ist da nix zu machen. Der Autor hätte sich als Student in den Nuller-Jahren bedenkenlos der These angeschlossen, dass man jeglichen Entwicklungsabsichten Krampnitz‘ fürderhin abhold sein sollte. Ehemalige Kasernen kann man auch renaturieren, auch wenn es um manch denkmalwürdige „Russen-Casino“-Bausubstanz aus Nazizeiten schade sein dürfte (die SRL-Exkursion führte uns in diesen – noch – Lost Place). Doch das heutige Potsdam macht es einem sehr schwer, dagegen zu sein. Das Quartier bekommt eine Straßenbahnanbindung, die – per Bescheid im Zielabweichungsverfahren – fertig/planfestgestellt sein muss, bevor ein zweiter Bauabschnitt genehmigungsfähig ist. Die Schulen sind bereits geplant und entstehen parallel, wenn nicht sogar schon vor Fertigstellung des gros der Wohnungen. Dort, wo kleinere Gebäude revitalisiert und nachverdichtet werden sollen, stehen drei große Genossenschaften in den Startlöchern, denn hier wurden explizit gemeinschaftliche Wohnformen angedacht. Mit einem Expressbus nach Spandau und einer Busanbindung ins 5km entfernte Dorf Marquardt, das a) zu Potsdam gehört und b) am Berliner Eisenbahnaußenring liegt, werden nicht nur nach Potsdam, sondern auch in der Anbindung nach Berlin Optionen geschaffen, die „mitten im nirgendwo“ (siehe oben) autoarmes Wohnen ermöglichen (zur Erläuterung: auf dem seit einigen Jahren zur besseren Anbindung des Potsdamer Universitäts- und Forschungsstandorts im Ortsteil Golm verkehrt eine zusätzliche Regionalbahnlinie in den Berliner Norden, den ICE-Bahnhof Spandau erreicht man in _ Minuten, Gesundbrunnen in etwa einer Dreiviertelstunde. Und der Quartiersplatz wird am Wasser liegen, dafür wird die Bundesstraße 2 verschwenkt.
Der Autor beendete für sich die Exkursion daher auch mit dem Besteigen des Busses Richtung Spandau, um den Fähranleger im Spandauer Ortsteil Kladow zu erreichen. Denn über den Wannsee verkehrt eine Fähre „als Bus“ zum Nahverkehrstarif. Wer also mit seinem Deutschlandticket neue Ausflugsrouten sucht und von Berlins Innenstadt die Nase voll hat: Wannsee – Potsdam – Jungfernsee – Krampnitz/Stadtgrenze Spandau – Kladow – Fähre nach Wannsee (wer auf den Stundentakt wartet, kann in Jungfernsee den Bus via Krampnitz und Sacrow direkt nach Kladow nehmen und an dem Kulturerbe Sacrower Heilandskirche aus dem Schinkel-Umfeld, hier: Persius, noch aussteigen, Stichwort Glanz und Gloria).
Ein vierter und ein fünfter Punkt sind als PS noch nachzureichen
Braindrain von Berlin nach Potsdam
Während der Exkursion wurde geschildert, dass Potsdam „Glück hatte“, nach 2000 zu wachsen, während sich in der Nachbarstadt Berlin die urbane Austerität breitmachte (Sarrazin war 2002-2009 Finanzsenator). Wohnungsunternehmen der Stadt wurden verkauft, die verbleibenden in öffentlicher Hand wurden auf Bestandshalten getrimmt. Potsdams Wohnungsunternehmen hatte es also leicht, sich mit Fachpersonal zu versorgen. Wenn man dieses in Kohorten denken möchte, geht es jetzt in den kommenden Jahren in Rente – nach fast 20 Jahren Arbeit für Potsdam. Das ist erstmal nur ein Detail für Stadtentwicklung, aber interessant ist schon, wenn sich zwei Städte in derselben Arbeitsmarktregion (wie Berlin und sein engerer Verflechtungsraum) sich nicht nur unterschiedlich entwickeln, sondern auch faktisch gegenläufige Strategien fahren.
Städtebau
Ein weiteres Detail mag auch sehr potsdamerisch oder gar preußisch anmuten; aber, vielleicht ist es gerade dieser Ort, der diesen kulturellen „Clash“ verräumlichen kann, anders als z.B. des Autors Heimatstadt Berlin. Im Bornstedter Feld gibt es einen Baubschnitt, der durch eine durchaus typische städtebauliche Figur geprägt wurde: dem würfelförmigen Baukörper, der den Block partiell auflöst, aber dessen Grundstruktur aufgreift. Diese wurden zu mehreren vom öffentlichen Wohnungsgebaut und jeweils als Einzel- oder Doppelblock von Baugemeinschaften bzw. vergleichbaren Akteuren. Und – es drängt sich dem Autor auf, dass die architektursprachliche Vielfalt in derselben Straße auf beiden gegenüberliegenden Seiten so nur in Potsdam sich nebeneinanderstellt. Aber das möge die Leser:schaft selbst anhand der Fotos beurteilen, wo das ökologisch-linke, wo das preußisch-konservative Milieu baute, wo die eigenen Berufsgruppe wohnt und wo das öffentliche Unternehmen baute (je nun, letzteres erkennt man daran, dass es viele Würfel sind).