Suburbanität im Spielfilm
- Frank Lorberg
- 05.2024
- Exkursion
- Frankfurt
Laubbläser, mit denen Pflegetrupps durch die Straßen ziehen und Nachbarn einander nerven, sind ein charakteristisches Element urbaner Räume geworden, weshalb sie mittlerweile zur Symbolisierung vorstädtischen Lebens eingesetzt werden können. Sie kommen selbst dort zum Einsatz, wo es wenige Laubgehölze gibt, wie in den Filmen ‚Ein Reihenhaus steht selten allein‘ und ‚Neues aus dem Reihenhaus‘, in dem sie als Running-Gag fungieren. Mit den Spielfilmen geriet die Riedberg-Siedlung in Frankfurt schon in ihrer Bauphase zum Filmstar[1]. Das ZDF produzierte 2013 und 2015 zwei Spielfilme, in denen die Siedlung – vor allem im ersten Teil – als suburbane Kulisse diente, die von Statisten bevölkert wurde.

Zehn Jahre nach den Filmaufnahmen in Riedberg konnten wir die Originalschauplätze besichtigen, die von außen betrachtet heute nicht wesentlich anders erscheinen als in den Filmaufnahmen abgesehen davon, dass die Vegetationsentwicklung vorangeschritten ist, was schon vorher absehbar war. Selten haben wir in Riedberg so viele Menschen auf der Straße gesehen wie in den beiden Spielfilmen. Der Widerspruch muss nicht irritieren, beansprucht der Film doch auch nicht, der Realität angemessen zu sein, wenn sich nach wenigen Einstellungen schon herausstellt, dass das Reihenhaus eine Schmalspur-Villa ist, in der ein modernes Familienleben einzieht. Der Spielfilm versucht eine Milieustudie für ein Neubaugebiet zu entfalten, die sich beliebter Klischees zu Kleinbürgertum und Nachbarschaft bedient und zugleich neuere Theoriefragmente aus der Soziologie aufgreift. So kann die Fernsehfamilie ‚Brömer‘ mit Mutter, Vater und zwei Kindern, wenn man Reckwitz‘[2] Gesellschaftsanalyse folgt, der neuen Mittelklasse zugeordnet werden. Die Frau ist erfolgreiche Anwältin, der Mann ein erfolgloser Grafiker, die Tochter befindet sich in der Pubertät und der Sohn auf Entdeckungsreisen durch die neue Lebenswelt. Der Neubau und die Inneneinrichtung deuten auf eine solvente Familie, die mit ihrer Entscheidung, dort Eigentum zu erwerben, in der Siedlung alt werden will. Mit dem Einzug in die Neubausiedlung beginnt ein Sozialisationsprozess für alle neuen Nachbarn, die mit eigenen Vorstellungen und Wünschen eingezogen sind. Daraus resultieren Konflikte. Die Nachbarn beobachten einander, konkurrieren untereinander und nerven sich gegenseitig. Da sich die gesamte Nachbarschaft am Ort neu konstituiert, sind die sozialen Verflechtungen zwischen den Bewohner:innen noch locker und variabel. So bringt der Zuzug neuer Nachbar:innen das sich bildende Sozialgefüge in Bewegung bis in die einzelnen Familien hinein, deren Strukturen sich aufgrund von Begegnungen aufzulösen beginnen. In der Schilderung dieser Sozialdynamiken wird mit etablierten Klischees von Familienkrisen und Nachbarschaftskonflikten, über das Liebesleben und zu Genderaspekten in Villensiedlungen gespielt: die Langeweile, das Repräsentationsbedürfnis bis in die Inszenierung des Lebensstils hinein, die Zwangsvergesellschaftung in Kombination mit deutlich betonter Individualität, die Neugier und der Neid.
Mit „ach, so haben Sie das gelöst“ formulieren die Nachbarn aus den nach identischem Grundriss gebauten Häusern die Einrichtung der anderen. Die Innenarchitektur gibt sich dabei ähnlich bestehend aus sparsamer Möblierung mit Polstergarnitur, Designer-Lampen, modernen Kunstdrucken bzw. Fotokunst und offenen Wohnküchen mit Gartenzugang. Überraschend einfallslos fällt dagegen die Gartengestaltung aus, mit der sich doch einige jener Aspekte visuell hätten ausgestalten lassen. So beschränkt sich die Gartengestaltung auf Rasenflächen, Sträuchern am Grundstücksrand, vor allem um zur öffentlichen Straße hin den Garten vor Einblicken zu schützen, wo immergrüne Gehölze stehen. Als Einrichtung der Gärten zeigt der Film Kinderspielzeug, Grill, Liege, Planschbecken. Dass keine extravagante Gestaltung inszeniert wurde überrascht, weil gerade die Gartenarchitektur in Bezug auf die serielle Bebauung zur Betonung der individuellen Differenz geeignet wäre, wie sich das in Neubaugebieten mit Gärten eindrucksvoll belegen lässt. Mit dem Verzicht auf eine extravagante Gartengestaltung soll vielleicht die Neuheit der gesichts- wie geschichtslosen Siedlung symbolisiert werden, deren Bewohner:innen bislang nur wenige Spuren ihres Lebens hinterlassen haben. Der erste Spielfilm wurde anscheinend vor dem Erstbezug der Villa, die als Drehort diente, aufgenommen. Das Sozialmilieu der Siedlung wird über Einkommensverhältnisse (Anwältin und Freiberufler, Banker, Unternehmer) angedeutet. Die Einfamilienhäuser mit Garage und Garten werden von Familien bezogen, die über ausreichend finanzielle Mittel verfügen, sich angesichts der damals steigenden Immobilienpreise einen Neubau zu leisten. Offenbar reicht ein Familieneinkommen aus, um die Kreditraten abzuzahlen. Auch die neuen Automobile vor den Garagen sprechen für Mittelschicht-Familien, deren Lifestyle z. B. über Fahrradfahren und die Einrichtung vermittelt auf die sogenannte Neue Mittelklasse deutet. Die Erwerbsarbeit wird im Homeoffice und in der Innenstadt erledigt, nicht aber in der Siedlung. Nur die Kinder gehen hier zur Schule. Werden die lokalen Besorgungen per Vintage-Bike erledigt, stehen für die Arbeitswege in die Stadt und für die Freizeit Autos zur Verfügung. Der ÖPNV spielt im Film keine Rolle. Der Fortsetzungsfilm bringt wenig Neues bis auf die damals im Bau befindlichen Stadtvillen am Kätcheslachpark, die den Eindruck finanzkräftiger Mittelklasse mit modernem Lebensstil vertiefen. Schließlich wird Herr Brömer ein Erfolgsautor.
Aus Sicht der Freiraumplanung gibt der Film weniger einen Einblick in die Urbanität am Stadtrand als in die Vorstellungen der Filmemacher:innen über die Erwartungen des Publikums an das Leben in der (Neuen) Suburbanität. Insofern haben wir es mit einem hoch vertrackten Spielfilm zu tun, dem Riedberg in mehrfachem Sinne als Kulisse dient. In der Filmkritik zum TV-Programm wird versucht, den Spielfilm als Sozialkomödie für die Feierabendunterhaltung zu retten, insofern er ein groteskes Kleinbürgerparadies schildere. Die Hölle werde in der Nachbarschaft verortet, wo die Spießigkeit wohne, ohne dass die eigene Beschränktheit ins Auge falle. Entlastend wirke die Sendung dahingehend, dass sich das TV-Publikum in den Vorstadtsiedlungen über seinen Alltag lustig machen könne. Entsprechend der positiven TV-Kritik erscheint es folgerichtig, dass vom ZDF der Film ‚Neues aus dem Reihenhaus‘ produziert wurde, der ähnlich gut besprochen wurde. Die TV-Kritik erscheint mir nicht unzutreffend, lässt aber andere Aspekte – wie z. B. der Zwang zur Individualität zum zeitgemäßen Lebensstil erklärt wird – unbeachtet. Die ideologische Funktion von Filmen erschöpft sich nicht im Inhalt, vielmehr vermittelt sie sich über die Form. So dient die Siedlung als Kulisse für ein Kammerspiel, das sich um die Familie ‚Börner‘ herum entfaltet und nur die direkte Nachbarschaft einbezieht. Unauffällig werden über die Inszenierung der Suburbanität und das Setting der Siedlung bestimmte Vorstellungen zum Städtebau an die Fernsehzuschauer:innen herangetragen, die z. B. Architektur, Siedlungsgrundriss, Mobilität, Gartengestaltung und auch Soziabilität, Arbeitswelt, Gender, Alltag, Konsum, Freizeit und Erholung usw. betreffen. Apropos Laubbläser: Man fragt sich, wo das Laub herkommt in einer Neubausiedlung mit vielen Koniferen und dauergrünen Gehölzen sowie dem kleinkronigen ‚Pflichtbaum‘ vor dem Haus.
Trotz aller Widersprüche zwischen der Realität (vor)städtischen Lebens, die die Fernsehzuschauer:innen im Alltag erleben können, und der Siedlung im Film wirkt diese überzeugend, weil sich die Zuschauer:innen auf die Fiktion einlassen, um sich zu amüsieren. Denn unter dem Eindruck, mit dem Spielfilm betrogen zu werden, würde sich das Fernsehpublikum nicht amüsieren können. Insofern verlangt der Spaß an der Sache die Aufrechterhaltung der Illusion durch das Publikum, das daran also aktiv beteiligt und kein passives, verführtes Opfer einer heteronomen Kulturindustrie ist. Der Film über das suburbane Familienleben in der Neubausiedlung, das von den Filmproduzenten anhand von Klischees inszeniert wird, funktioniert so gut, weil das Publikum bereit ist, sich auf den unterhaltsamen Schein einzulassen. Diese Bereitschaft des Fernsehpublikums, sich auf die filmische Illusion einzulassen, wird durch die Wünsche, die die Zuschauer haben, aktiviert. Insofern korrespondieren Filmproduzenten und Filmpublikum über die gemeinsamen Klischees. Mit solchen und ähnlichen Klischees werden Neubausiedlungen beworben und reagiert die Bauwirtschaft auf sogenannte Wohnwünsche und Bedürfnisse der zukünftigen bzw. imaginierten Bewohnerschaft. Damit wirkt die gesellschaftliche Illusionsproduktion aber auch in die Planung von Vorstadtsiedlungen und deren Vermarktung ein und wird die Beschäftigung mit Filmen und deren kritische Rezeption zu einem Thema für die Planungswissenschaften.
Endnoten:
[1] Ein Luftbild des für den Spielfilm relevanten Siedlungsausschnitts von Riedberg mit der Bebauung von 2013 findet sich auf der Website der Stadt Frankfurt (letzter Zugriff 10.04.2024): https://planas.frankfurt.de/?t=bau_planungsrecht&l=bplan_rv%21%2Cbplan_iv%21%2Cv_rv%21%2Cv_iv%21%2Cvk_rv%21%2Cvk_iv%21%2Cssm_rv%21%2Cssm_iv%21%2Csem_rv%21%2Csem_iv%21%2Ce_rv%21%2Ce_iv%21%2Cgs_rv%21%2Cgs_iv%21%2Cstellplatzsatzung%21%2Cfr_rv%21%2Cvg_rv%21%2Cberatung_61_63%21%2Csgk_rot%21%2Cg_gemarkung%21%2Cg_stadtbezirk%21%2Cg_stadtteil%21%2Cg_ortsbezirk%21%2Cg_stadtgrenze%21&bl=luftbilder_2013&sp=satzung&c=473507%2C5558669&s=786#
[2] Andreas Reckwitz (2017): Die Gesellschaft der Singularitäten. Zum Strukturwandel der Moderne. Berlin, Suhrkamp Verlag.