Die Forschungsgruppe beim International Geographical Congress in Dublin, Irland

IGC Logo © Copyright – IGC 2024

Vom 24. bis zum 30. August 2024 fand in Dublin der 35ste International Geographical Congress statt, bei der nicht nur Wissenschaftler*innen aus mehr als 80 Ländern, sondern auch Vertreter*innen der Forschungsgruppe ihre Projekte dem internationalen Fachpublikum präsentierten. 

Henriette Betram und Maik Kiesler aus der Forschungsgruppe leiteten eine Sitzung mit dem Titel “Celebrating difference and innovation at the margins: suburban development and city expansion in the 21st century”, um der “Neuen Suburbanität” eine Plattform für internationalen Austausch und Anknüpfungspunkte zur suburbanen Raumentwicklung in anderen Planungssystemen zu bieten. Vorgestellt wurden sowohl Forschungen zu aktueller Suburbanisierung (Chengdu, China; Iași, Rumänien; div., Polen) als auch die sozialräumliche Neustrukturierung bestehender suburbaner Quartiere angesichts von substantiellem Bevölkerungsrückgang (Detroit, USA), Alterung (Tokyo, Japan), Gentrifizierung (Paris, Frankreich) oder zivilgesellschaftlichem Empowerment (Rom, Italien).

Als Teil der Sitzung stellten Svenja Bochinski und Michael Swiacki stellvertretend für die Teilprojekte 1 und 4 ihre jeweiligen Forschungsansätze und erste Ergebnisse vor. 

Der Vortrag von Michael Swiacki zu den Standorten und Mustern rezenter Stadterweiterung in stadtregionalen Kontexten umfasste erste Ergebnisse einer geostatistischen Analyse. Die Untersuchung mithilfe hochauflösender aus Fernerkundungsdaten generierter Geodaten zeigt auf, dass zu Beginn des 21. Jahrhunderts viele Städte von einer eher verstreuten Siedlungsentwicklung zwischen bereits bestehenden bebauten Kernen geprägt sind. Gleichwohl lassen sich in einer Vielzahl von Städten mithilfe von Kartenmaterial großflächige Siedlungserrichtungen identifizieren und erlauben Unterscheidungen von Innenraumentwicklung gegenüber Stadterweiterungen und verdeutlichen ihre jeweiligen Lagen im stadtregionalen Kontext. Der dafür verwendete Datensatz erweitert die Beforschung von Stadtentwicklung insofern, dass nicht nur die Landnutzung durch Versiegelungsgerade, sondern auch die unmittelbaren Materialmengen analysiert werden, um Aussagen über angeforderte nachhaltige und ressourcensparende Siedlungsentwicklung treffen zu können.  Unterschiedliche Wachstumsmuster zeigen sich unter anderem abhängig davon, ob Neuerrichtungen von Industrie- und Gewerbeflächen dominiert werden oder ressourcenintensive Einfamilienhaussiedlungen gegenüber Mehrfamilienbebauung überwiegen. In der anschließenden Diskussion wurde nicht nur das Potential dieses Ansatzes die Effizienz des Materialaufwands der Siedlungsentwicklung zu messen betont. Auch wurden methodische wie fachliche Erfahrungen aus internationalen Kontexten geteilt, die künftige Forschung bereichern wird.

Abbildung Visualisierung rezenter Stadterweiterungen Frankfurt am Main

Wie (sub)urbane Landschaften im Kontext der Stadtplanung Hamburgs diskursiv konstruiert und widerstreitend artikuliert werden, zeigte Svenja Bochinski in ihrem Vortrag zu Paradigmen der Stadt- und Landschaftsplanung aus diskurstheoretischer Perspektive. Auf Basis einer Diskursanalyse von Planungsdokumenten, lokaler Medienöffentlichkeit, Karten und leitfadengestützten Interviews erläuterte sie, wie der breite Konsens über Hamburgs Identität als besonders grüne Stadt und “European Green Capital” von 2011 an der Wachstumsorientierung der Planungspolitik zerbricht und zwei widerstreitende Diskurse um a) grünes Wachstum und b) suffizienter Flächensparsamkeit zu Klima- und Umweltschutz prominent werden. Weil innerstädtische Grünflächen als zu wertvoll erachtet werden, rücken suburbane Landschaften, die zuvor hauptsächlich als durch historische Formen von Landwirtschaft geprägte Naherholungsräume gedacht wurden in den Fokus. Suburbane Räume werden nun entweder als Gebiet mit überholten Siedlungsformen, planerischen Fehlern und als Baulandreserve für benötigten Wohnraum beschrieben, die Landschaft dort auf Vektoren für grüne und blaue Infrastruktur reduziert. Diese Argumentation legitimiert großformatige Bauvorhaben wie Oberbillwerder. Auf der anderen Seite werden suburbane Räume als zusammenhängende Landschaften beschrieben, deren Böden zu Klimaschutz und Klimaanpassung der Kernstädte und zur Anpassung von Arten an Klimawandel beitragen.

Innovativ sei dies nur bedingt, resümiert sie. Schließlich sind insbesondere der erste und zweite Diskurs im Einklang mit den vorherrschenden Planungskonzepten für den suburbanen Raum des 20. Jahrhunderts: aus einer kernstadtzentrierten Perspektive werden suburbane Räume als Ressourcen für die Bedürfnisse des Zentrums gedacht. Nur der dritte Diskurs wertet die suburbane Landschaft an sich und betont ihre Funktion als Bindeglied zu einer regionalen Perspektive. Interessanterweise wird nur dort die Forderung nach einer stärker regionalplanerischen Perspektive artikuliert. Wie dieser Fall zeigt, lassen sich durch Landschaft als Linse (wohnungsbezogene) Nachhaltigkeitspolitiken auf lokaler Ebene dekonstruieren – ein Ansatz, der im weiteren Verlauf des Projekts vertieft werden wird.

Darüber hinaus wurden die Vertreter*innen der Gruppe inspiriert durch Vorträge zu suburbanen Entwicklungen in Polen sowie Reformen des Planungssystems, um den Problemen der Landschaftszersiedelung entgegen zu wirken, Anwendungen einer geostatistisch informierten Raumplanung im südafrikanischen Bloemfoentain, oder “Best Practice”-Umsetzungen des Konzepts des Transit Oriented Developments in Stadtteilen von Paris oder Taipeh. Zusätzlich zu den thematischen und methodologisch bereichernden Sessions konnten die Vertreter*innen der Forschungsgruppe während des Kongresses Kontakte für den zukünftigen internationalen Austausch knüpfen. 

Die Unterbringung in dem als Gartenstadt konzipierten, suburbanen Stadtteil Marino verbreitete suburbane Alltagsrealitäten wie einem dünnen ÖPNV-Netz, der erkennbaren Ausrichtung auf den motorisierten Individualverkehr oder einer geringen Funktionsmischung. Gleichzeitig rundeten Erkundungsspaziergänge durch die Reihenhausbebauung des kernnahen suburbanen Stadtteils, mit ausgedehnten Grünflächen, von Bäumen gesäumten Alleen und sorgfältig gestalteten Vorgärten die Kongresswoche stimmig ab.

Fotos Suburbane Alltagsrealitäten in Marino, Dublin (Marino1,Marino2,Marino3) Quelle: Henriette Bertram